Heute morgen habe ich mir in der ZDF-Mediathek den Film „Brief an mein Leben“ angeschaut. Das was als Burnout-Drama beschrieben war und die Biografie dieser Frau erinnerte mich an manche Abschnitte in meinem Leben. Nach einer 3/4 Stunde brauchte ich die erste Pause. Die Geschichte in der Klinik erinnert mich an meine Zeit in der Reha-Klinik vor 14 Jahren. Ich weinte und konnte eine ganze Weile nicht weiter schauen.
Als ich 2002, nach Bad Neustadt an der Saale, wegen meiner Essstörung in die Rehe-Klinik kam, habe ich mir für 14 Tage eine absolute Kontaktsperre erbeten. Ich brauchte damals dringend Pause von meinem Vater, von meiner Familie. Es war so stressig und emotional unglaublich erschöpfend. Mein Mutter war gerade ein paar Jahre tot und mein Vater hatte nach einem sehr schweren Motorradunfall gerade wieder etwas zu sich gefunden und sprach endlich nicht mehr jeden Tag von Selbstmord. Ich hatte gefühlt schon immer Probleme mit meinem Vater, aber die Zeit nach seinem Motorradunfall war für mich die schlimmste meines Lebens. In der Klinik wollte ich nur für mich da sein und mal nicht sorgenvoll darauf achten müssen, dass bei ihm alles einigermassen läuft und er mal nicht beim kleinsten Problem von Selbstmord sprach. Er hatte gerade eine neue Beziehung und ich dachte es sei endlich mal an der Zeit, mich um mich zu kümmern.
In der Klinik angekommen habe ich mich endlich mal um nichts mehr kümmern müssen, ausser darum wie ich mir etwas Gutes tun kann. Ich genoss, dass ich versorgt wurde und ehrlich ich muss sagen, die Zeit in der Reha war tatsächlich die glücklichste Zeit in meinem Leben. Zeit nur für mich. Ich war 8 Wochen dort. Acht Wochen ohne Fernseher, ohne Auto, ohne Druck. OK – es stimmt nicht ganz, die ersten 6 Wochen ohne Druck und dann Richtung Ende der Reha bekam ich zunehmend Angst davor wieder zurück in die Realiät zu müssen. Ich musste ja nach 6 Wochen Mitteilung machen, dass ich eine Verlängerung angenommen habe und dies und die Reaktionen aus der „Realität“ setze mich wieder zunehmend unter Druck und Anspannung. Nach den 14 Tagen Kontaktsperre, hatte ich mich das erste Mal wieder bei meinem Vater gemeldet. …und es prompt bereut. Die Reaktionen meines Vater waren manchmal ganz schön schwer zu ertragen. Er fragte immer,wieviel ich abgenommen habe. Irgendwann habe ich es mal gesagt und seine einzige Reaktion war „na dann wollen wir mal hoffen das es auch dabei bleibt“. Nach der Reaktion hatte ich so die Nase voll, dass ich mir geschworen habe viel mehr Abstand zu meinem Vater zu halten. Einfach um zu überleben.
Vor dem Job hatte ich auch eine Riesenangst. Damals habe ich noch für eine zweite Praxis die gesamte Abrechnung gemacht. Ich hatte Angst davor, in diesen gesamten Irrsinn zurück zu müssen. Der Film hat mich so sehr daran erinnert. Die Frau dort hat dem Arzt noch gesagt, dass sie eigentlich nicht so schlimm krank sei, wie die Anderen. Der verschobene Blick auf sich selber. Das kenn ich nur zu gut. Ich habe auch immer wieder gedacht, dass ich ja nicht so schlimm krank sei. Ich war im Anschluss an die Reha so beweglich geworden. Ich konnte zwei Stunden spazieren gehen und es auch noch genießen – und ehrlich ich habe es genossen. Jeden Abend eine Runde gedreht. Mich viel bewegt, ach herrlich. Seit dem weiß ich, wie schön Bewegung sein kann. … und ich weiß, dass es Moment des Glücks innerhalb von Bewegung gab. Zur Zeit sehne ich mich genau danach und wünsche mir nichts sehnlicher und bin meilenweit davon entfernt. Ich habe irgendwie das Vertrauen in mich verloren, jemals wieder so beweglich zu sein. Während der Reha hatte ich viele Kontakte geknüpft und konnte aber auch für mich sein, wenn ich allein sein wollte. Zuhause, bleib mir eigentlich nur die Wahl arbeiten oder sich um den Vater kümmern. Ich hatte kaum Zeit für soziale Kontakte.Als ich wieder in die Realität zurückkam, habe ich , wie ich es mir geschworen haben , versucht Distanz zu meinem Vater zu halten. Ich merkte er freute sich mich zu sehen, aber selbst dieses Gefühl ließ ich überhaupt nicht an mich ran. Ich wollte nie wieder so verletzt werden. Ich wollte so schnell wie möglich wieder in meine Wohnung zurück. Ich konnte mich nicht freuen, dass er sich auf mich gefreut hat. Ich spüren, dass er enttäuscht war und konnte ihm die Hand nicht reichen, so im übertragenen Sinn. Er hatte mein Auto von innen und aussen gewaschen – noch nicht mal darüber habe ich mich freuen können, viel zu sehr war ich darauf aus, mich bloss nicht von irgendwelchen Äusserungen verletzten zu lassen. Wir gingen noch zusammen essen und als ich so erzählte wie die Reha war, kam der Kommentar von ihm, ich solle doch leise reden – andere würde meine Geschichte nicht interessieren. Dies war für mich das Zeichen zum Aufbruch. Direkt wieder gerügt zu werden, dass ich war wie ich war, so wollte ich nicht mehr leben. Am nächsten Tag ging ich wieder zur Arbeit und keine 30 Stunden nach der Rückkehr zurück in mein Leben hatte mein Vater einen schweren Schlaganfall. Nachdem er erst ins künstliche Koma gelegt wurde, verstarb er 6 Tage später. So gab es keinen Augenblick mehr in dem wirklich eine Art Befriedung stattfand. Ich war manchmal nach seiner Beerdigung so unglaublich wütend, wie es sich aus dem Leben gestohlen hat und einer Befriedung somit ausgewichen ist. Ich hatte aber gottseidDank, durch die Reha sehr viel Kraft geschöpft, die ich auch wirklich gebraucht habe, aber schon ein halbes Jahr später hatte ich viele Rückfälle und das was ich in der Reha gelernt hatte, verlor wieder an Bedeutung und Kraft. Es gab Streit ums Erbe und ich hatte zwei Jobs. All dies kostete unglaublich Kraft, das alles alleine zu bewältigen. Hinzu kam, dass sich die damals engste Vertraute in meinem Leben zurückzog , weil sie meinen Bruder und mich dafür verachtete, dass wir meinen Vater zur Organspende freigegeben haben und auch die Augennetzhäute. Das es für Andere ein Problem war, dass wir meinen Vater zur Organspende freigegeben haben und auch selber noch die Idee dazu hatten, war für viele unverständlich und für mich war unverständlich, dass Andere damit ein Problem haben. Obwohl jeder ein Organ haben will, wenn er es braucht, ist es für viele unvorstellbar einen Menschen zur Organspende freizugeben. Das es aber meiner Freundin. B., die angeblich immer so tolerant war, zuwider war, dass wir auch die Augen (ihrer Ansicht nach der Spiegel der Seele) und es ein Grund sein könnte, sich von mir zurück zu ziehen, war für mich unfassbar. Aber es war so, sie hat mir so ihre Distanzierung erklärt.
Meine in der Reha gewonnene Kraft ging mehr und mehr zurück. Ich nahm mehr und mehr zu und mir ging es immer schlechter und schlechter. Ich sehnte mich oft nach dem Aufenthalt in der Klinik zurück. Dort hatte ich angefangen zu fühlen. Erst dort konnte ich langsam wieder anfangen zu fühlen und ich liebte es endlich zu fühlen. So etwa ein halbes Jahr später, habe ich wieder alle Gefühle verdrängt. Die Realität, meine Realität war kaum auszuhalten, so schmerzhaft und das ganze Fühlen so anstrengend und alles war einfach nur viel zu viel. Ich konnte schon seid dem Tod meiner Mutter 1998 nicht mehr richtig schlafen. Bis auf die 8 Wochen in der Klinik, habe ich von 1998 bis 2013 max. 2-3 Stunden geschlafen. 2013 dann mein Burnout. Seid dem schlafe ich etwas mehr so 4 – 5 Stunden. Der innere Druck war mal viel besser, aber seid ich den Fuß im vorigen Jahr gebrochen habe, ist der innere Druck bei allem so stark wieder da.
Als ich den Film dann nach der Weinpause weitersah, wusste ich auf einmal, was eigentlich mit mir los ist. Ich spürte Angst, riesige Angst, die mich droht zu ersticken. Ich fühlte rein in diese so massiven Gefühle und wusste schlagartig was für eine Angst das ist. Es ist nicht die Angst, etwas nicht zu können, nein – es ist die Angst vor Konsequenzen. Die Angst was passiert mit mir, wenn ich sage, was gesagt werden muss. Meine Mutter drohte mir mit Abschiebung in ein Heim, wenn ich nicht spurte, wie sie es wollte. Mein erster Chef warf mit offenen Spritzen und chirugischen Instrumenten nach uns, wenn er sauer war oder etwas falsch war. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich von dem Missbrauch zu Hause erzählt hätte. Dabei weiß ich noch,dass ich einmal vollkommen verstört nach Hause gekommen bin und meine Mutter mich immer wieder gefragt hat, was los sei und ich immer nur den Kopf geschüttelt habe und nicht gesprochen habe. Ich rieche den Pfefferminztee, den es bei dem Abendessen gab, noch heute und ich spüre den Druck in mir. Sätze, wie „wenn du das machst dann“ haben mich gefügig gemacht und gefällig und so meinen Maulkorb herbeigeführt. Was wenn ich weiter den Mund halte, wenn Missstände da sind? Vorhin bin ich ich essen gegangen. Ich war in einem Restaurant einer Patientin. Diese Patientin war verärgert nach der letzten Behandlung und ich, die die Wut zu spüren bekam, dachte wieder ich sei schuld. Ich hab mich überwunden, ich will nicht mehr aus Angst vor Konsequenzen, welcher Art auch immer, vor dem Leben kneifen. Ich will leben und das Leben in vollen Zügen geniessen und kein Angst vor dem „und dann“haben und aus Angst vor Konsequenzen nicht den eigenen Träumen folgen. Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich meinen Ausbilder angezeigt hätte und nicht aus Angst keinen Job mehr zu bekommen, geschwiegen hätte. Ich bin froh, dass ich eben in diesem Restaurant war und nicht gekniefen habe. Ich bin so froh und dankbar, dass Frauen in dem Forum (siehe vorherigen Eintrag) ihre Stimme erhoben habe und die Wahrheit ausgesprochen haben. Sie habe mir gezeigt, wie es ist die Wahrheit zu sagen ohne Rücksicht vor der Angst und den Konsequenzen.
Manoman bin ich froh, dass ich den Film heute gesehen habe. Er hat mir vieles gezeigt. Endlich kenne ich meine Angst. Aber seid heute weiß ich, dass ich auf keinen Fall mehr Opfer meiner Angst sein werde. Gut, sie wird bestimmt immer mal wieder dasein, wenn es darum geht mich zu wehren und Misstände anzusprechen, aber dafür weiß ich jetzt schonmal was meine Angst überhaupt ist und da ich nicht blöd bin, werden sich sicher auch Weg zeigen, wie ich dieses Opferdasein aufgeben kann. Dafür bin ich wirklich zutiefst dankbar. Vielleicht sollte ich es so machen, wie die Frau in dem Film es gemacht hat. Sie hat einen Brief an ihr Leben geschrieben.