Fortsetzung
Ich habe mich gestern und heute beobachtet. Klar weiß, ich was ich kann, aber wirklich fühlen kann ich es nicht. Ich stehe den ganzen Tag unter enormen Druck. In mir ist immer wieder eine Stimme, die mir sagt „ das kannst Du nicht“.
Gestern Mittag habe ich dann von einer Frau gehört, die ich seid 25 Jahren kenne und die in meinem Alter (50) ist und die mit Depressionen in einer Klinik war und sich dort Weihnachten das Leben genommen hat. Es hat mich gestern völlig aus der Bahn gebracht. …und es hat mich daran erinnert wie es mir häufig geht und auch in der Vergangenheit ging. Ich habe mich in den letzten Jahren wirklich sehr verändert, aber zufrieden bin ich irgendwie immer noch nicht. Neulich habe ich noch geschrieben,“ ist meine Esssucht ein Selbstmord auf Raten?“. Mein Großvater hat sich umgebracht als mein Vater 5 Jahre alt war und mein Vater hat auch immer von Selbstmord geredet. Immer wieder , wenn mein Vater mit etwas ein Problem hatte oder meine Eltern sich gestritten haben, sprach mein Vater von Selbstmord und manchmal verschwand er für Stunden und wir suchten ihn dann. Nachdem meine Mutter dann tot war, war das Thema Selbstmord ein Dauerthema, bei jedem Besuch, bei jedem Telefonat. Es war so unglaublich anstrengend. Einerseits seine Verzweiflung zu sehen und andererseits ständig versuchen ihn zum Leben zu motivieren.
Wie soll man jemanden zum Leben motivieren, der nicht leben will? Eigentlich unmöglich. Ich hatte immer wieder auch Angst, was wenn er sich umbringt und ich mich schuldig fühle und nie im Leben damit klarkomme? Ich weiß noch, dass sich mal ein Patenkind meiner Mutter das Leben genommen hat und ich die Biografie meines Cousins kannte und meiner Mutter irgendwie Vorwürfe gemacht habe, dass sie sich nicht um ihn und seinen Bruder gekümmert hat. Ich konnte absolut nie verstehen, wie sie nur 10 km von ihnen entfernt gewohnt hat und die Kinder nie zu uns nach Hause geholt hat und für sie da war. Und ich habe meine Tante für das verachtet, was sie getan hat. Mein Vater hat mir damals gehörig den Kopf gewaschen und mir gesagt, dass ich nicht über etwas urteilen solle, wovon ich keine Ahnung hätte. Aber ich brauchte keine ganze Geschichte damals um über ein Drama zu urteilen. Als mein Cousin noch lebte, zerfloss ich schon vor lauter Mitleid als ich zufällig davon hörte, was ihnen geschehen war. Mir ging es doch schon so schlecht. Wie muss sich erst jemand fühlen, dem es noch viel viel schlimmer ging als mir selber. Nachdem er sich dann umgebracht hat, konnte ich nicht anders, ich machte auch meiner Mutter Vorwürfe. Heute kann ich die Erklärung meiner Mutter auf einer Art nachvollziehen, aber verstehen kann ich es immer noch nicht. Ich kann nicht verstehen, wie man Kinder so in das Unglück laufen lassen kann. So was ist für mich unvorstellbar. Was wäre, wenn sie ihm gezeigt hätte, dass die Welt auch anders aussehen kann, auch mit dem was alles geschehen ist. Vielleicht hätte es ihm geholfen zu sehen, dass doch noch jemand für ihn da ist. Nur gesehen werden, hätte das schon gereicht? Vielleicht ja. Aber wirklich wissen, naja.
Als ich das gestern mit der Frau erfahren habe, musste ich daran denken, dass ich früher ganz häufig gedacht habe, das ich nicht mehr leben will und das Sterben doch so viel leichter sein müsste. Irgendwann vor 7 –8 Jahren habe ich durch die Monatsblutung in einer Nacht so unglaublich viel Blut verloren, dass ich als Notfall ins Krankenhaus kam und binnen kürzester Zeit eine kleine OP hatte. Ich weiß noch, wie vollkommen entkräftet ich war und ich so unsagbar schlapp war. Auf dem Weg in den OP-Saal, dachte ich noch, dass es das nun endlich war. Endlich würde mein Leben vorbei sein. Ich dachte so bei mir, dass ich soviel Blut verloren hatte (riesige Mengen), starkes Übergewicht habe und nun noch die Vollnarkose. Mir war auf eine Art ganz klar, dass ich das unmöglich überleben kann. Ich war so erleichtert bei dem Gedanken, dass dieses Scheißleben nun endlich zu Ende sein würde. … und wie verzweifelt war ich, als ich aus der Narkose wieder aufgewacht bin. Als mir klar wurde, dass ich lebte, brach konnte ich nur noch weinen. Ich war so verzweifelt, dass ich überlebt habe, so verzweifelt. Ich brauchte mindestens ein halbes Jahr, bis ich das akzeptieren konnte und begriff, dass ich einfach noch nicht an der Reihe war zu sterben. Selbstmord kam für mich noch nie in Frage. Dazu war ich nie in der Lage und außerdem viel zu feige. Ich habe mich früher viel mit dem Thema Wieder-geburt beschäftigt. Mit früher meine ich so mit Anfang /Mitte 20. Man sagt in dieser Theorie, dass man, wenn man sich selber umbringt, die Erfahrungen die man nicht gemacht hat auf jeden Fall noch machen muss und man so das Leben nochmal auf ähnliche Weise wiederholen muss. Also ob es nun stimmt oder nicht, dass ist mir eigentlich egal inzwischen, aber das Risiko das es stimmt ist mir viel zu hoch. Man, ich bin jetzt 50 Jahre alt, dass meist habe ich geschafft, da fang ich doch nicht in einem anderen Leben nochmal mit dem gleichen Mist an, nee also absolut nicht. Ich bin oft verzweifelt in meinem Leben gewesen, ich habe versucht allen Erwartungen gerecht zu werden, habe gemacht, was man sich für mich gedacht hat und funktioniert. … und um es zu kompensieren habe ich gegessen.
Als ich gestern von dieser Frau gehört habe, hat es mich vollkommen auf mich zurückgeworfen, auf mein eigenes Dasein, auf meine Bedürfnisse. Kann ich mich motivieren fürs Leben? Im WDR lief vor einigen Monaten eine Dokumentation mit Chistine Westermann. Sie hatte einige Tage in einem Seminarhaus mit innerer Einkehr verbracht und fragte jemanden der im buddistischen Kloster war, wie sie das mit in den Alltag nehmen kann. Dieser man, stellte etwas in den Raum: „Wir haben bevor wir geboren werden eine Vereinbarung mit dem Leben getroffen und halten wir diese Vereinbarung ein? Das begleitet mich seid dem. Halte ich die Vereinbarung mit dem Leben ein? Nein nicht wirklich. Ich versuche es immer wieder, aber eigentlich schreie ich meistens das Leben ganz schön an und will den Mist, den es mir vor die Füße wirft nicht haben. Ich kämpfe geben mich, geben das Leben und bestehe aus ganz viel Widerständen. Ich sehe mir oft die Menschen an und frage mich bei dem ein oder anderen, wie er/ sie das wohl sieht. Manchmal frage ich. So wie am Mittwoch, als ich den Mann gefragt habe, ob er inneren Druck verspürt. Ich frage mich, was ist mein Lebensmotor. Ich habe die Situation überlebt, damals im Krankenhaus. Wofür geschah dies? Sicher, weil ich noch ganz viel erleben und erfahren soll. Wie verzweifelt muss die Frau gewesen sein, dass sie sich das Leben nahm.